VG Schleswig: Update mit Thermofenster unzulässig

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat am 20.02.2023 ein wichtiges Urteil im Dieselskandal gesprochen. Die Richter stuften den Freigabebescheid des Kraftfahrt-Bundesamts für ein VW-Update zum Motortyp EA189 als unzulässig ein. Das verbaute Update war mit einem sogenannten Thermofernseher ausgestattet. Diese Abschaltung der Abgasreinigung bei Außentemperaturen unter zehn Grad, wie sie VW unter anderem in den Jahren 2008 und 2009 für 2,0-Liter-Motoren des VW Golf und Touran verwendet hat, halten die Richter für rechtswidrig.

Der Europäische Gerichtshof hat für den 21.03.2023 eine Grundsatzentscheidung angekündigt („Rantos III“). In diesem Verfahren vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass die Verletzung von Abgasvorschriften bereits eine Verpflichtung zum Schadenersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ergebe. Folgt der Europäische Gerichtshof dem, müssten Autohersteller nicht mehr vorsätzlich sittenwidrig gehandelt haben, sondern nur fahrlässig, um schadensersatzpflichtig zu werden.

Der Bundesgerichtshof hat in Erwartung dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für den 08.05.2023 eine Grundsatzentscheidung terminiert. Danach dürfte Klarheit darüber bestehen, ob Dieselklagen in Deutschland gegen eine Vielzahl von Herstellern wegen des sogenannten Thermefensters Erfolgsaussichten haben.

Bitte sprechen Sie uns an, sollte in Ihrem Fahrzeug ein entsprechendes Update verbaut sein.

Wir haben bereits in einer Vielzahl von Prozessen im Zusammenhang mit dem Dieselskandel geschädigte Eigentümer gegen Automobilherstellern vertreten.

Vorschäden in der Unfallregulierung

Häufig wenden Kfz-Haftpflichtversicherer nach Verkehrsunfällen im Rahmen der Regulierung des Sachschadens ein, dass zum Unfallzeitpunkt Vorschäden am Kraftfahrzeug des Geschädigten vorhanden waren und nehmen dies zum Anlass, die Schadensregulierung ganz oder teilweise zu verweigern.

Dabei kann nicht verkannt werden, dass der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO nachweisen muss, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder zumindest ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist, wenn das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut und deckungsgleich beschädigt wird und die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig ist. Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und gegebenenfalls auch nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind.

Allerdings dürfen bei der Bemessung der dem Geschädigten obliegenden Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur die Anforderungen nicht überspannt werden. Sogar das Verschweigen von Vorschäden führt grundsätzlich nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB, da die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche in dem gesetzlichen Regime des materiellen bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen ist (so jedenfalls OLG Hamm, Urteil vom 22.01.2022, 9 U 46/21)

Häufig werden auch Vorschäden aus einem Zeitraum behauptet, in welchem der Geschädigte noch nicht Eigentümer des Fahrzeugs war und behauptet, dass Fahrzeug anschließend in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben. In einem solchen Fall ist der Geschädigte grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin kann weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gesehen werden (BHG, Beschluss vom 15.10.2019, VI ZR 377/18).

BGH erleichtert Haftung bei Schockschäden

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 06.12.2022, Az. VI ZR 168/21 klargestellt, dass für die Geltendmachung von Schadenersatz für psychische Beeinträchtigungen aufgrund der Verletzung eines nahen Angehörigen nur noch eine medizinisch fassbare Erkrankung Voraussetzung ist. Der Bundesgerichtshof verlangt somit für die Geltendmachung eines Schockschadens im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr, dass der Angehörige stärker beeinträchtigt wurde, als es bei Tod oder Verletzung eines nahestehenden Menschen typischerweise zu erwarten gewesen wäre.

BGH: Grundsätzlich keine Geltung von „rechts vor links“ bei Parkplatzunfällen

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 26.11.2022 zu dem Aktenzeichen VI ZR 344/21 klargestellt, dass die Regeln der StVO auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen grundsätzlich anwendbar sind. Insbesondere ist auch dort das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO zu beachten.

§ 8 Abs. 1 S. 1 StVO hingegen gilt grundsätzlich auf öffentlichen Parkplätzen weder unmittelbar noch mittelbar über § 1 StVO.

Dies folgt daraus, dass einem Parkplatz mit seinen Parkbuchten und Fahrspuren kein Straßencharakter zukommt, da er von jeder Richtung her befahren werden kann. Daran ändern auch Fahrbahnmarkierungen nichts. Zudem sollen Fahrspuren von Parkplätzen nicht den Verkehrsfluss ermöglichen, sondern vielmehr Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangiermöglichkeiten schaffen sowie Be- und Entladevorgänge ermöglichen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Fahrspuren, für die Verkehrsteilnehmer erkennbar, vor allem der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen. Aus diesem Grund kann es sinnvollerweise auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen ohne Straßencharakter nur eine Verständigung über die Vorfahrt geben.

Bei Parkplatzunfällen wird es foglich wie bisher in den meisten Fällen zu einer Haftungsverteilung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Fahrweise der Unfallbeteiligten im Einzelfall kommen, wobei die Gegebenheiten des Unfallortes insbesondere durch Lichtbilder sehr genau dokumentiert werden sollten, damit ein möglicher Straßencharakter gegebenenfalls nachgewiesen werden kann.

BGH zu Stornokosten bei Reiserücktritt wegen Corona

Der Bundesgerichtshof hat in drei Verfahren eine differenzierende Antwort auf die Frage nach der Stornokostenpflicht bei einem Rücktritt von einer Pauschalreise wegen coronabedingter Reiseerschwernisse gegeben. Entscheidend sind jeweils Zumutbarkeitserwägungen im Einzelfall.

Die entscheidende Gesetzesnorm zur Beantwortung der Frage nach möglichen Stornokosten findet sich in § 651h BGB. die Vorschrift gewährt dem Reiseveranstalter einen Anspruch auf Entschädigung (Stornokosten), wenn der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Gemäß § 651h Abs. 3 BGB entfällt dieser Anspruch dann, wenn am Reiseziel unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten, welche die Reise erheblich beeinträchtigen.

Für den Rücktritt von einer Pauschalreise stellt sich in Zeiten der Corona-Pandemie daher die Frage, inwieweit die weltweit grassierende Gefahr, sich mit dem Covid-19-Virus zu infizieren als ein solcher, unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstand zu bewerten ist, der im Fall eines Reiserücktritts den Anspruch des Reiseveranstalters auf Stornokosten entfallen lässt.

Der Bundesgerichtshof bejaht die Frage grundsätzlich, fordert aber eine exakte Bewertung der konkreten Pandemie-Umstände am jeweiligen Urlaubsort.

Ein für sämtliche Fälle gültiger Grundsatz lautet nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise, die den Anspruch auf Stornokosten entfallen lässt, nicht nur dann vorliegt, wenn die Durchführung einer Reise nicht möglich ist oder Tatsachen vorliegen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würden. Vielmehr entfällt der Anspruch des Veranstalters auf Stornokosten schon dann, wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände erhebliche, dem Reisenden nicht zumutbar Risiken im Falle der Durchführung der Reise drohen.

„Zahnarzthaftung aus Sicht eines Anwalts und eines Zahnarztes“

Rechtsanwalt Markus Bittner nimmt am 13.06.2022 an der fünfstündigen Fortbildungsveranstaltung im Medizinrecht „Zahnarzthaftung aus Sicht eines Anwalts und eines Zahnarztes“ des DAI teil.

„Aktuelle Rechtsprechung des Arzthaftungsrechts“

Rechtsanwalt Markus Bittner nimmt am 14.06.2022 an der zweieinhalbstündigen Fortbildungsveranstaltung im Medizinrecht „Aktuelle Rechtsprechung zu prozessualen Besonderheiten im Arzthaftungsrecht“ der Juristischen Fachseminare Bonn teil.

„Aktuelle Rechtsprechung des Arzthaftungsrechts“

Rechtsanwalt Markus Bittner hat am 09.06.2022 an der zweieinhalbstündigen Fortbildungsveranstaltung im Medizinrecht „Aktuelle Rechtsprechung zu Behandlungsfehlern und Aufklärungsversäumnissen“ der Juristischen Fachseminare Bonn teilgenommen.

BGH-Beschluss vom 30.3.2022, Az. 4 Str 181/21: Einsicht in die gesamte Messreihe?

Das OLG Zweibrücken ist der Ansicht, dass sich aus den Rohmessdaten der gesamten Messreihe keine Anhaltspunkte für die Beurteilung der Verlässlichkeit der konkret beanstandeten Einzelmessung ergeben können.

Dem steht die Auffassung des OLG Jena entgegen, wonach es den Bußgeldgerichten aus Rechtsgründen verwehrt sei, die vom Betroffenen mit dem Auskunftsersuchen geltend gemachte Relevanz der Informationen für die Verteidigung zu überprüfen.

Aus diesem Grund hat das OLG Zweibrücken dem Bundesgerichtshof die Frage vorgelegt, ob unter diesen Umständen ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege oder ob die Relevanz der Einsichtnahme für die konkrete Messung dargelegt werden muss.

Der Bundesgerichtshof sah den Vorlagebeschluss des OLG Zweibrücken als unzulässig an und hat das Verfahren an das OLG Zweibrücken zurückverwiesen. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Annahme einer in rechtlicher Hinsicht bestehenden Divergenz durch das vorlegende Oberlandesgericht auf einer nicht mehr vertretbaren Auslegung der Entscheidung des OLG Jena beruhe.

Die Entscheidung des OLG Jena sei nicht so zu interpretieren, wie dies das vorlegende OLG Zweibrücken getan habe. Daher sei der Bundesgerichtshof im Vorlageverfahren an diese Auslegung nicht gebunden.

Der Entscheidung des OLG Jena sei entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts nämlich gerade nicht zu entnehmen, dass einem Informationsverlangen eines Betroffenen ohne gerichtliche Prüfung seiner Berechtigung stets nachzukommen sei. Das OLG Jena habe vielmehr ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, wonach dargelegt werden muss, dass der Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu den beantragten Informationen sachlich unter anderem davon abhängig ist, dass diese Relevanz für die Verteidigung haben kann. Ob dem so ist, muss durch die befassten Bußgeldgerichte beurteilt werden.

Hieraus folgt, dass sich die Anträge auf Einsicht in die gesamte Messreihe mit der Relevanz für die Einzelmessung zumindest insoweit befassen sollten, als dargelegt wird, inwieweit die Messreihen anderer Fahrzeuge Rückschlüsse auf etwaige Messfehler in der Einzelmessung zulassen können.

„Aktuelle Probleme des Arzthaftungsrechts 2020/2021“

Rechtsanwalt Markus Bittner hat am 24.3.2022 an der fünfstündigen Fortbildungsveranstaltung im Medizinrecht „Aktuelle Probleme des Arzthaftungsrechts 2020/2021“ der Rechtsanwaltskammer Koblenz teilgenommen. Gegenstand des Seminars war die höchstrichterliche Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht in den vergangenen beiden Jahren.

Rohmessdaten der Tagesmessreihe: OLG Koblenz, Beschluss vom 1.2.2022, 3 OWi 32 SsBs 99/21

In Bußgeldverfahren werden der Verteidigung von den Verwaltungsbehörden regelmäßig nicht die Rohmessdaten der Tagesmessreihe zur Verfügung gestellt, ohne dass die Gerichte dies bislang zu einer Einstellung des Verfahrens veranlassen würde.

Das Oberlandesgericht Koblenz hat nunmehr am 1.2.2022 beschlossen, dass in einem konkreten Bußgeldverfahren, in welchem der Betroffene dennoch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt wird:

Darf ein in einem standardisierten Messverfahren (hier:ESO-Einseitensensor ES 3.0 – Softwareversion 1.007.2) ermitteltes Messergebnis den Urteilsfeststellungen zu einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zugrundegelegt werden, wenn zuvor dem Antrag des Betroffenen, ihm die vorhandenen Rohmessdaten der Tagesmessreihe, die nicht zur Bußgeldakte gelangt sind, zur Einsicht zu überlassen, nicht stattgegeben worden ist, oder beinhaltet dies eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 20 Abs. 3 GG) bzw. eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung des Betroffenen (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. mit § 38 Nr. 8 StPO)?

Hieraus folgt, dass bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorsorglich immer die Rohmessdaten der Tagesmessreihe angefordert werden sollten und, sollten diese der Verteidigung nicht zur Verfügung gestellt werden, die Aussetzung des Verfahrens beantragt werden sollte. Durch diese Vorgehensweise ergeben sich interessante neue Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung.

Sobald die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorliegt, werden wir an dieser Stelle berichten.

BGH: Keine „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 15.2.2022, Az. VI ZR 937/20 wenig überraschend klargestellt, dass entgegen der Rechtsprechung des OLG Frankfurt/Main das Schmerzensgeld nicht „taggenau“ berechnet werden kann, da für die Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie das Ausmaß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen ist. Auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. Eine schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Geschädigte im Krankenhaus verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt nach Ansicht des BGH wesentliche Umstände des jeweiligen konkreten Falles außer Betracht. Bei der taggenauen Berechnung bleibt insbesondere auch unbeachtet, welche Verletzungen der Betroffene erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde.