Vorsatz bei falscher Interpretation einer Geschwindigkeitsbeschränkung

Das OLG Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 3.2.2021, Az. 2 Ss-OWi 1228/20 klargestellt, dass ein vorsätzliches Verhalten auch dann in Betracht kommt, wenn der Betroffene aufgrund Unkenntnis eine Beschilderung falsch interpretiert.

In dem entschiedenen Fall war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der von dem Betroffenen befahrenen Bundesautobahn unter Hinweis auf eine Verkehrskontrolle und durch einen Geschwindigkeitstrichter zunächst auf 100 km/h, dann auf 80 km/h und schließlich auf 60 km/h beschränkt worden. Der Betroffene fuhr an dieser Stelle nach Abzug der Toleranz mit einer Geschwindigkeit von 123 km/h. Neben der Geschwindigkeitsbeschränkung wurde gleichzeitig ein Überholverbot angeordnet. Das Überholverbot war durch Zusatzzeichen auf Lkw und Busse beschränkt. Der Betroffene bezog das Zusatzzeichen jedoch auch auf die Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit und war somit der Annahme, dass die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für ihn nicht gelte.

Das OLG Frankfuurt am Main hat in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass eine unzutreffende Bewertung der rechtlichen Bedeutung der Beschilderung den Vorsatz nicht entfallen lässt, wenn der Betroffene die Beschilderung optisch richtig und vollständig wahrgenommen hat. In einem solchen Fall ist nach Ansicht des Gerichts regelmäßig von einem vermeidbaren Verbotsirrtum auszugehen mit der Folge, dass die Bußgeldstelle einen Bußgeldbescheid mit einer entsprechend erhöhten Geldbuße erlassen kann.

Strafbarkeit wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennen setzt nicht Erreichen der technischen Höchstgeschwindigkeit voraus

Wie das Oberlandesgericht Celle in seinem Beschluss vom 8. 20.04.21 unter dem Az. 3 Ss 25/21 entschieden hat meint „Höchstmögliche Geschwindigkeit“ im Sinne von § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB die in konkreter Verkehrssituation erzielbare relative Höchstgeschwindigkeit.

In dem zugrunde liegenden Fall wurde ein Angeklagter vom Amtsgericht Zeven im Januar 2021 wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt. Dagegen richtete sich die Revision des Angeklagten. Er führte an, dass es an dem Merkmal des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit im Sinne der Vorschrift fehle. Denn er habe nicht die Motorkraft seines Fahrzeugs ausreizen wollen, sondern nur vor der Polizei fliehen wollen.

Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts. Es genüge, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten und nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

Fortbildung für ADAC Vertragsanwälte

Rechtsanwalt Markus Bittner hat am 27.04.2021 an der zweieinhalbstündigen Fortbildungsveranstaltung des ADAC Hessen-Thüringen für Vertragsanwälte im Verkehrsrecht teilgenommen. Themen waren unter anderem „Aktuelles aus dem Verkehrsstrafrecht“, der „Dieselabgasskandal“ sowie die „Rechtslage bei fiktiver Abrechnung des Unfallschadens“.

Bereits bei einmaliger Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,1 Promille kann eine MPU angeordnet werden!

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seinem Urteil vom 17.03.2021 unter dem Az.: 3 C 3.20 entschieden, dass bereits nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,1 Promille eine MPU angeordnet werden kann. Dies sei dann möglich, wenn der Betroffene keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeige.

Zum Sachverhalt:

Der Kläger geriet in eine Verkehrskontrolle. Besondere Ausfallerscheinungen zeigten sich weder in seiner Fahrweise noch in seinem Verhalten bei der Kontrolle. Trotzdem hatte die Polizei den Verdacht von Alkoholkonsum und ordnete eine Blutprobe an. Diese ergab 1,3 Promille. Der Kläger war bisher ein unbeschriebenes Blatt im Straßenverkehr.

Es erging ein Strafbefehl mit einer Geldstrafe. Zudem wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 9 Monaten angeordnet.

Nach Ablauf der Sperrfrist beantragte der Kläger eine neue Fahrerlaubnis. Die Behörde wollte aber den Alkoholkonsum des Klägers überprüfen und ordnet eine MPU an.

Dagegen erhob er Klage zum Verwaltungsgericht.

Die Anordnung einer MPU bei Alkoholproblematik regelt § 13 FeV. Danach kann eine MPU angeordnet werden, wenn

· Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen

· wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden

· ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille geführt wurde

Bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Wert unter 1,6 Promille wird regelmäßig keine MPU angeordnet. Dennoch verlangte die Behörde hier eine MPU.

Die Gerichte urteilten unterschiedlich. Das Verwaltungsgericht gab der Behörde recht. In zweiter Instanz vor dem Verwaltungsgerichtshof bekam dann der Kläger recht.

Die Revision der Behörde führte schließlich dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufhob und das Urteil der ersten Instanz wiederherstellte.

Begründet wurde dies damit, dass der Kläger trotz 1,3 Promille keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigte. Dies spreche für eine starke Alkoholgewöhnung in der Vergangenheit, so dass ein Alkoholmissbrauch naheliege. Nebenbei bemerkte das Gericht, dass schon bei 1,1 Promille von einer Alkoholgewöhnung ausgegangen werden könne.

Knapp 5 Jahre dauerte der Rechtsweg. Nun muss der Kläger eine positive MPU beibringen, um eine neue Fahrerlaubnis zu erhalten.

Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV 3: Vorläufig keine amtlichen Messungen mehr!

Bereits im vergangenen Jahr wurde bei Testmessungen festgestellt, dass es unter bestimmten Umständen zu unzulässigen Messabweichungen zu Lasten des Betroffenen kommt. Daraufhin wurde die Gebrauchsanweisung des Herstellers durch einen Nachtrag vom 14.12.2020 mit neuen Regeln für die Auswertung von Messfotos versehen und genehmigt. Danach muss nunmehr bei einer Messung ein zweites Foto vorhanden sein, dass bestimmte Teile des Kennzeichens des Fahrzeugs zeigt. Bei Messungen von einer Brücke herunter muss das komplette Kennzeichen zu sehen sein. Messungen, die diese Kriterien nicht erfüllen, waren nach der neuen Gebrauchsanweisung ausdrücklich nicht mehr verwertbar.

Trotz des oben angeführten Nachtrags zur Bedienungsanweisung kam es auch bei weiteren Versuchen von Sachverständigen zu Fehlmessungen in bestimmten Szenarien. Der Hersteller hat inzwischen reagiert und mit Datum vom 12.3.2021 die Verwender des Messgeräts angewiesen, keine Messungen mit dem Gerät mehr durchzuführen, bis die technischen Fragen geklärt sind.

Bitte sprechen Sie uns an, sollten Sie von einer Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 betroffen sein und wir für Sie darauf hinwirken sollen, dass das Verfahren durch die Verwaltungsbehörde oder das Gericht eingestellt wird.

„Grundlagen und aktuelle Rechtsprechung in Verkehrsstrafsachen und Verkehrsordnungswidrigkeiten“

Rechtsanwalt Markus Bittner nimmt am 17.04.2021 an der sechsstündigen Fortbildungsveranstaltung der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz im Verkehrsrecht „Grundlagen und aktuelle Rechtsprechung in Verkehrsstrafsachen und Verkehrsordnungswidrigkeiten“ teil. Referent ist unter anderem Dr. Benjamin Krenberger, Richter am Amtsgericht Landstuhl.

Themen sind unter anderem die Akteneinsicht, das standardisierte Messverfahren,Verjährung und sonstige Einstellungsgründe, das Verfahrensrecht, die wichtigsten Tatbestände des Verkehrsstrafrechts, Tötungsdelikte im Straßenverkehr sowie illegale Straßenrennen, Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis, effektive Verteidigung bei vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis, aktuelle verfahrensrechtliche Fragen, Spontanäußerungen und mangelhafte Belehrungen, die Vernehmung des Beschuldigten und die Täteridentifizierung.

VGT 2021 in Goslar

Rechtsanwalt Markus Bittner nimmt am 28. und 29.01.2021 online an den Fortbildungsveranstaltungen des 59. Deutschen Verkehrsgerichtstags in Goslar teil.

Themen sind unter anderem die „Aktuelle Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH zum Verkehrsrecht“, „Das Coronavirus im Verkehrsrecht – Probleme und Chancen“, „Aktuelles aus Verkehrs- und Versicherungsrecht“ sowie „Die häufigsten Unfallursachen mit Erläuterung der Quotenbildung beim Schadenersatz“.

Haarbürste statt Handy am Steuer? Amtsgericht Frankfurt am Main verhängt Geldbuße

In einer Polizeikontrolle wurde ein Busfahrer dabei fotografiert, wie er sich einen Gegenstand ans Ohr hielt. Die Behauptung desselben, er habe sich eine Haarbürste ans Ohr gehalten und damit seinen Bart gekämmt, sei nicht glaubhaft, entschied das Amtsgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 16.06.2020 unter dem Aktenzeichen: 971 Owi 363 Js 72112/19.

Die Behauptung des Busfahrers sei nicht glaubhaft.

Das Gericht nahm die Haarbürste in der Hauptverhandlung in Augenschein und stellte fest, dass die Bürste eine „geschwungene, zu den Ecken hin abgerundete Form“ aufweise. Der Gegenstand auf den Fotos sei aber rechteckig.

Das Gericht setzte eine Geldbuße in Höhe von 180 Euro fest. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Entscheidung zu „Rohmessdateien“

Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass Betroffenen im Bußgeldverfahren der Zugang auch zu nicht in der Akte befindlichen Informationen ermöglicht werden muss.

Zwar müsse bei standardisierten Messverfahren nicht jedes Mal die Richtigkeit der Messung überprüft werden, der Zugang der Betroffenen zu nicht in den Akten befindlichen Informationen müsse jedoch gewährleistet werden. Dies gelte vor allen Dingen für Rohdateien der Messgeräte, die bislang nicht immer eingesehen werden durften (BVerfG Beschl. v. 12.11.2020, Az. 2 BvR 1616/18).

Das Gericht gab damit einer Verfassungsbeschwerde statt, die den Zugang zu Informationen im Bußgeldverfahren betraf, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. Das BVerfG entschied nun, dass die vorangegangenen Entscheidungen den Fahrer in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen.

Das Recht auf Informationszugang gelte jedoch nicht unbegrenzt. Um eine uferlose Ausforschung und Verfahrensverzögerungen zu verhindern, müssten die begehrten Informationen daher zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen.

Verjährung von Ordnungswidrigkeiten

In den letzten Tagen wurden mehrere Bußgeldverfahren, in denen wir die Betroffenen verteidigt haben und mehrmonatige Fahrverbote drohten, eingestellt, da Staatsanwaltschaften und Gerichte unsere Verteidigungsstrategie nicht durchschaut haben und aus diesem Grund schließlich Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Dies zeigt, dass es sich in jeder Bußgeldsache lohnt, im Hinblick auf die komplexe Sach- und Rechtslage einen Experten zu beauftragen.

Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach der StVO-Novelle 2020

Die neue Straßenverkehrsordnung ist am 28.04.2020 in Kraft getreten. Wegen eines Formfehlers im Gesetzestext ist jedoch die Bußgeldkatalogverordnung unwirksam und gilt dies somit auch für die neuen Regelungen zu Fahrverboten und Bußgeldern.

Somit stellt sich die Frage, ob nunmehr wieder die alten Bußgelder gelten oder aber das sogenannte Meistbegünstigungsprinzip des § 4 Abs. 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vielmehr gebietet, das mildeste Gesetz anzuwenden und somit gewissermaßen das neue nichtige Gesetz.

Auch wenn die Rechtslage äußerst komplex und das Vorgehen der Behörden völlig uneinheitlich sind, ergeben sich hieraus vielfältige Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung des Betroffenen.

Anhörung falsch adressiert: Einstellung des Bußgeldverfahrens!

In einem vor dem Amtsgericht Montabaur anhängigen Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist es uns gelungen, in der Hauptverhandlung das Gericht davon zu überzeugen, dass die falsch adressierte Anhörung die Verjährung nicht unterbrochen hat mit der Folge, dass der Bußgeldbescheid dem Betroffenen erst nach Eintritt der Verfolgungsverjährung zugestellt wurde. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Auch diese Entscheidung zeigt, dass die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens dem Spezialisten vielfältige Verteidigungsmöglichkeiten eröffnen.